Meine zweite Peter-Handke-Lektüre, worüber ich berichten wollte, heißt „Versuch über die Jukebox“. Über die Erste schreibe ich etwas später.
Im letzten Sommer bekam die Jukebox für mich eine besondere Konnotation. Sie stellt etwas dar, was aus einer anderen Zeit übrigblieb, so was wie ein alter Telefonapparat. Aber die Jukebox wird nicht nur als Dekoration, sondern als eine nostalgische, funktionsfähige Musik-Box benutzt. Ich habe sie im August 2019 sogar in Berlin in der Ankerklause fast eine Stunde lang für 1€ betätigt und ein paar Monate später habe ich die Erzählung von Peter Handke „Versuch über die Jukebox“ mit Genuss gelesen.
Was ich von der Erzählung berichten kann? Nichts weiter, als sie selbst über sich. Für den Titel meines Blogs musste ich nur im Text zerstreute Sätze verbinden, um das wiederzugeben, wie ein „Weltflüchtling“ „ein sich selbst erzählendes Märchen“ geschrieben hat.
Die zu der Erzählungsgenre bestimmenden Themen des Textes „Versuch über die Jukebox“ von Peter Handke, erschienen 1989, zählen Suche, Musik und Wandern, aber auch das Gegenwartfangen durch desen Beschreibung, das Ortefestnageln und ihn in die Erzählung einbetten, an die Geschichte pinnen.
Musik
Der Protagonist ist auf der Suche nach Jukeboxen und daher nach den Liedern, die mit der Musik-Box in Verbindung stehen. Die Lieder begleiten seinen Versuch des Suchens des Beschreibungsgegenstands und seinen Versuch des Schreibens.
Daher habe ich eine Playlist des Buches erstellt, so wie Soundtrack eines Filmes. Diese Titel helfen, die vom Autor im Wort festgehaltenen Momente über Musik zu spüren und das Gefühlte zu hören. Das Hören windet mit der Gegenwärtigkeit des Geschehens in der Erzählung und in unserem Raum mit Hilfe der Songs ineinander.
Meine Empfehlung, wenn Du mit der Erzählung beginnst, lass die Playlist krachen.
Peter Handke gibt die Titel leider nicht immer vor, aber für die Stimmung reichen manchmal auch die Sänger.
- Van Morrisson
- Rolling Stone: „Satisfaction“
- Bill Wyman
- Jacques Brel
- Madonas „like a Sprayer“
- Paul Anka „Diana“
- Dion „Sweet Little Sheila“
- Ricky Nelson „Gypsy Woman“
- Apache
- Johny River (?) „Memphis, Tennessee“
- Beatles:
- „I Want to hold your Hand“
- „Love me do“
- „Roll over Beethoven“
- „I saw her standigng there“.
- „Things we say today“
- Creedance clearwater Revival
- Bob malles: „Redemption Song“
- Alice: „Una Note Speziale“
- Beatles: „Hey Joe“
- Janis Joplin (?) „Me and My Bobby Mcgee“
- Sidi Mansur
- Monfalcone
- Michelle Shocked „Anchorage“ und „Alaska“
Routenplaner der Erzählung:
Die Reise beginnt in San Sebastian, danach nach Burgos Anfang Dezember, als „das Jahr 1989 zu Ende ging“, und der erste Ort, den der Protagonist besucht und der am häufigsten im Text vorkommt, heißt Soria:
Reisezweck:
„Mit dem „Versuch über die Jukebox“ hatte der Protagonist vor, „sich die Bedeutung dieses Dings in den verschiedenen Phasen seines nun schon lang nicht mehr jungen Lebens klarzumachen.“ (S.11 Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1990.)
Oder die Reise sieht er als eine Herausforderung, die ihm hilft, die Beziehung zwischen ihm und fremden Welten zu hinterfragen und zu beobachten.
„Eine Art Erkundung oder Vermessung des jeweiligen fremden Ortes und ein Sticheinlassen, allein, ohne Lehrer, auf eine Sprache, die zunächst möglichst unbekannt sein musste. Weg fluchten musste er jetzt jedoch nicht bloß vor dieser Stadt, sondern auch vor seinem Thema. Schon je mehr er sich Soria, genährt hatte, desto nichtiger war ihm der Gegenstand „Jukebox„ vorgekommen.“ (S.24-25).
„Sein Haus war mit der Zeit tatsächlich ein Haus ohne Musik geworden, ohne Plattenspieler und dergleichen; sooft im Radio nach den Nachrichten gleich welcher erste Takt einsetze, schaltete er ab;“ (S. 98) … und so saß er sozusagen auch er bei seinen Jukeboxen, nicht um sich zu konzentrieren für das Weitertun, sondern um sich dafür zu lassen.“
„Die Bilder drängten und wollten erzählt werden.“ (S. 74)
Erzähltechniken von Peter Handke
Neben der Musik kommen im Text Formen und Gerüche vor, die den Leser metaphysisch mit dem Geschehen hineinbeziehen.
„Das winterverlassene Oval der Stierkampfarena,- und rings umgeben von Schwärze.“ S. 36. „Das Nasenblut des Großvaters roch nach nassen Hundenfell“. (S.37)
Die Reise geht natürlich weiter. „Er hatte demnach zwei Tage Zeit und beschloß, den ersten im Norden, den zweiten im Osten zu verbingen, bedie Male an Orten schon außerhalb von Kastilien erst Logrono in der Weinbau-Region La Rioja, dann Zaragoza in der Region Aragon: So ergab es sich vor allem aus den Busfahrplänen.“ (S. 46)
Dann wird die Route wieder ohne Zeit und Ortsangaben durcheinandergewürfelt. Wir lesen über die Orte, wo er schon mal war, oder hingehen möchte, aber wir wissen nicht mehr wann und ob. Peter Handke schafft über eine Reise in einer Art zu schreiben, dass man doch die Reihenfolge der Zeit und der Fahrziele irrelevant werden lässt. Wir hören Stimmungen, die er mit Ortsnamen assoziiert: Düsseldorf, Amsterdam, Cocksfosters, Santa Teresa di Gallura, Alaska, Udine, Rom, japanischer Tempelort Nikko, Tokio, Paris, Salzburg, Kars jogoslawische und Italianische Seiten oder einfach „Nisel-Nebel-Niemandsland“.
Die Sprache
Um die Macht seiner Ortsbeschreibungen zu veranschaulichen, könnten die folgenden Zitate hilfreich sein.
„Hohe Schneewechten säumten den großen Fluss und schaukelten auf den zweiten Blick als Industrieschaum, und an den Hochhausfassaden diesseits wie jenseits flappte es im Dämmerregen von den Leintuchbahnen.“ (S. 49 über Logroño)
„Zaragoza (…) Hatte als Gehsteig-Ornament sich bauchende Schlanglinien, welche, so dachte er, die Mäander des Flusses darstellten.“ S. 50
In der Erzählung über Erzählen erzählt der Autor über sein Stil, Schreibvorhaben und Erzählrythmus, so ausführlich, wie kein anderer über seine Erzählung es wagen könnte.
Der Erzählstil
„Dabei nun geschah etwas mit ihm. Damals, mit dem, ja doch, Einfall, dem zugleich einleuchtenden, einen „Versuch über die Jukebox“ zu schrieben, hatte er sich diesen als einen Dialog auf einer Bühne vorgestellt: Das Ding, und was es für den einzelnen bedeuten konnte, war ja für die meisten etwas so Abseitiges, dass sich eine Person, gleichsam als Vertreter des Publikums, in der Rolle des Fragers aufdrängte, und eine zweite, als der auf diesem Gebiet „Bewanderte“, im Gegensatz zu den platonischen Dialogen, wo der fragende Sokrates insgeheim mehr von dem Problem wusste als der, zumindest zu Beginn, vom Vorurteils – Wissen geschwellte Antwortverkünder: am ehesten vielleicht so, dass auch der Bewanderte erst durch die Fragen des anderen herausfand, was jeweils die „Stellenwerte“ jenes Requisits in seinem Lebensspiel gewesen waren. Im Lauf der Zeit kam ihm dann das Bühnen-Zwiegespräch aus dem Sinn, und der „Versuch“ schwebte ihm als ein unverbundenes Mitenander vieler verscheidener Schreibformen vor, wie es ja, schien ihm, auch den so, wie sollte er es nennen? Ungleichen? Arhythmischen?“ (S. 67-68)
Der Erzählfluss
„Weisen entsprach, in denen er eine Jukebox erlebt hatte und sich an sie erinnerte: „Augenblicksbilder sollten wechseln mit weit ausholenden, dann jäh abbrechenden Erzählläufen; auf bloße Stichworte würde eine vollständige Reportage über eine einzelne Musikbox zusammen mit einem bestimmten Ort folgen; von einem Block Notizen käme, ohne Übergang ein Sprung zu einem von Zitaten, welcher, wiederum übergangslos, ohne harmonisierte Verknüpfungen, Platz machen sollte vielleicht allein dem litaneihaften Registrieren der Titel uns Sängernamen eines besonderen Fundgegebenstandes – wobei er sich, als die Grundform, die dem Ganzen eine Art Zusammenhalt gäbe, weiter das Frage-Antwort-Spiel vorstellte, zwischendurch allerdings bruchstückhaft, eingreifend und sich wieder zurückziehend, im Verein mit ähnlich fragmentarischen Filmszenen, deren Mittelpunkt jeweils eine andere Jukebox, und von dieser ausgehend jeweils ein vielfältiges Geschehen oder Stillleben, in immer weiteren Kreisen um sie herum – wenn es sich ergab, auch bi hin ein anderes Land oder auch nur zu dem Nuchsbaum am Ende eines Bahnsteigs. Er hoffte, seinen „Versuch“ ausklingen lassen zu können in eine „Ballade von der Jukebox“, eine singbaren, sozusagen „runden Liedtext auf dieses Ding, freilich nur, wenn der sich nach all den Bildsprungen wie von selber vortrüge.“ (69-70).
Lela Chilingarishvili